Die Niedersächsische Ministerin für Inneres und Sport, Daniela Behrens, und die Niedersächsische Justizministerin, Dr. Kathrin Wahlmann, haben am 26.06.2023 das dritte gemeinsame Lagebild von Polizei und Justiz zur „Clankriminalität in Niedersachsen“ vorgestellt. In diesem Lagebericht wird auf eine angebliche „kriminelle Großfamilie aus der Ethnie der Roma“ verwiesen.
Die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus MIA lehnt den stigmatisierenden Begriff „Clankriminalität“ ausdrücklich ab. Hinter diesem Begriff verbirgt sich ein gefährlicher, rechtspopulistischer Diskurs, der seit Jahren verstärkt durch mediale Berichterstattung, Politik und Sicherheitsbehörden für reißerische Stimmungsmache gegen ganze Bevölkerungsgruppen verwendet wird.
Das Lagebild zeigt, dass die Straftaten, die der „Clankriminalität“ zugeordnet werden, ebenso wie im vergangenen Jahr weniger als ein Prozent der gesamten polizeilich erfassten Kriminalität ausmachen. Hinzu kommt, dass in die Statistik zur Clankriminalität auch Ordnungswidrigkeiten, Bagatelldelikte und kleinere Vergehen einfließen. Diese werden aufgebauscht, der „Clankriminalität“ zugeordnet und verfälschen somit den Blick auf die Realität.
In der Einleitung des Lageberichts wird „Clankriminalität“ auf Basis ethnischer Herkunft definiert. Es wird jedoch behauptet, dass „ethnische“ Daten nicht erfasst werden: „Darüber hinaus werden keine Daten zu ethnischen Zugehörigkeiten oder Verkehrsdelikten erfasst“.
In der Präsentation steht allerdings Folgendes:
„Massendelikte im Bereich Eigentums- und Vermögenskriminalität durch Großfamilie aus der Ethnie der Roma im LG-Bezirk Hannover.“
Dies ist kein Einzelfall. 2017 wurde die Kategorie „Sinti und Roma“ in die Berliner Kriminalstatistik eingefügt. Straftäter_innen werden der Minderheit der Sinti und Roma zugeordnet. Diese Kategorie musste nach einer Kritik des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma abgeschafft werden. Der Zentralrat bemängelte zu Recht, dass in der Statistik von 2017 Sinti und Roma „als einzige Gruppe pauschal mit Kriminalität in Verbindung“ gebracht worden seien. Auch dies ist ein Beleg für die „Ethnisierung“ von Straftaten, die nicht zu einer effektiveren Bekämpfung von Verbrechen führt, sondern zur Verbreitung von Vorurteilen gegenüber Minderheiten beiträgt. Denn das Lagebild erzeugt fälschlicherweise den Eindruck, dass organisierte Kriminalität überwiegend von Familien mit Migrationsbiografie verübt wird. Auch Sinti und Roma, die seit Generationen bzw. seit Jahrhunderten in Deutschland leben, geraten in den Fokus.
Melde- und Informationsstelle Antiziganismus
Die Folgen einer solchen Kriminalisierung sind in Niedersachsen – aber nicht nur dort – sichtbar. Es kommt zu einem unverhältnismäßigen Vorgehen von Polizeibeamt_innen gegenüber Angehörigen der Minderheit der Sinti und Roma, dem sogenannten Racial Profiling. Angehörige der Sinti und Roma geraten so häufig unter Generalverdacht.
Das ist ein Verstoß gegen den Grundsatz, der besagt, dass im demokratischen Rechtsstaat nur jeder Einzelne die Verantwortung für seine Taten trägt. „Ethnische Herkunft“ und „Volkszugehörigkeit“ sind nach datenschutzrechtlichen Grundsätzen sogenannte „besondere Kategorien“ von personenbezogenen Daten. Sie dürfen wegen der offensichtlichen Missbrauchsgefahr nur unter sehr hohen Voraussetzungen erhoben werden. Diese Voraussetzungen sind, dass die Polizei ohne die Erhebung dieser Daten ihre Polizeiarbeit gar nicht wahrnehmen oder sie dadurch Leben retten kann. Das ist in diesem Fall nicht gegeben und die ethnische Datenerhebung deswegen rechtswidrig.
Der rassistische Begriff „Clankriminalität“ dient lediglich dazu, Minderheiten zu kriminalisieren, unter Generalverdacht zu stellen und rechtspopulistische Gemüter in der Gesellschaft zu bedienen. Die Verwendung der Kategorie „Clankriminalität“ führt in der Praxis dazu, dass Bürger_innen diskriminiert werden. Dies ist ein flagranter Verstoß gegen das Grundgesetz. MIA fordert die Aufhebung dieser diskriminierenden Kategorie.
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