Am 22.02.2023 hat die Bundesregierung in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage eine vorläufige Zahl antiziganistischer Straftaten bekannt gegeben. Es wurden 143 antiziganistische Straftaten im Jahr 2022 erfasst. Diese Zahl stellt einen Anstieg im Vergleich zum vergangenen Jahr dar (122 Straftaten) und zeigt, dass Antiziganismus im letzten Jahr besser erfasst wurde und möglicherweise auch häufiger zur Anzeige gebracht wurde.
Seit 2017 werden antiziganistische Straftaten durch die Kategorie der politisch motivierten Kriminalität (KPMD-PMK) erhoben. Die aktuelle Erfassung zeigt einen Anstieg von mehr als 300% im Vergleich zum Jahr 2017, in dem lediglich 45 antiziganistische Straftaten dokumentiert wurden. Von den Straftaten im Jahr 2022 sind 11 Körperverletzungen und eine Brandstiftung dokumentiert. Die meisten Straftaten fielen auf den Straftatbestand der Volksverhetzung (54 Straftaten).
Trotz des Anstiegs der erfassten antiziganistische Straftaten geht die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) davon aus, dass die Dunkelziffer enorm ist. Selbstorganisationen der Sinti und Roma und Beratungsstellen berichten tagtäglich antiziganistische Vorfälle. Ein großer Teil antiziganistischer Straftaten wird nicht bei der Polizei angezeigt, weil beachtliche Teile der Minderheit dem Staat und der Polizei aufgrund der Verfolgung durch das Nazi-Regime und der gegenwärtigen Stigmatisierung und Kriminalisierung durch Polizeibehörden nicht vertrauen.
Hinzukommt, dass es innerhalb der Polizei noch immer an notwendigem Wissen und Sensibilität mangelt, um eine Straftat als antiziganistisch zu erkennen und einzustufen. Die Unabhängige Kommission Antiziganismus (UKA) hat auf die Problematik hingewiesen, dass bei der Justiz und den Polizeibehörden oft keine Klarheit über den Rassismusbegriff besteht und deswegen rassistische Straftaten oftmals nicht als solche eingestuft oder nicht spezifischer bestimmt werden. Es ist davon auszugehen, dass diese Unklarheit bei Polizeiermittlungen auch bezüglich der Kategorie Antiziganismus besteht. Das kann zur Folge haben, dass antiziganistische Straftaten nicht als solche erkannt und zum Teil nur als rassistisch werden.
Die Erfassung der PMK Statistik spiegelt nur einen geringen Teil des Antiziganismus in der Gesellschaft wider. Antiziganismus umfasst auch nicht strafrechtlich relevante Vorfälle wie Diskriminierung, aber auch institutionellen Antiziganismus durch die Polizei, öffentliche Verwaltung oder Schule. Die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) möchte den Antiziganismus sichtbarer machen und erfasst Vorfälle über- und unterhalb der Strafbarkeitsgrenze. Nur durch diese umfassende Erfassung können wir ein klares Bild über das Ausmaß des Antiziganismus in unserer Gesellschaft erlangen.